Kreative Konstruktionen für schwebende Kuppel
Aufwändiger Umbau der Nationalbibliothek von Straßburg erfordert besondere Bautechniken
LOGO.3-Systemschalung und neuartige Klettersysteme ermöglichen Betonage im ZeitplanEin Schwergewicht unter den europäischen Städten ist zweifellos Straßburg. Hier sitzen das Europaparlament, der Europarat, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und viele andere sehr bedeutende Institutionen. Die Siedlungsgeschichte lässt sich bis die ersten Jahrhunderte vor Christus zurückführen und war früher von Galliern, Römern und Germanen, bald durch Franken und Schwaben, und in neuerer Zeit durch Franzosen und Deutsche geprägt. Hier wurde Gutenbergs Bibel gedruckt, hier studierte Goethe.
In Frankreich ist es immer der Place de la République, an dem die wichtigsten Bauwerke stehen. In Straßburg ist dieser sehr groß und kreisförmig. Um diesen stehen die Präfektur des Départements, das Ministerium für Kultur und Kommunikation, das Finanzministerium sowie – neben anderen wichtigen Gebäuden – die Bibliothèque Nationale et Universitaire.
Im Deutsch-Französischen Krieg (1870-1871) wurde die Straßburger Dominikanerkirche durch preußisches Artilleriefeuer zerstört – und mit ihr der Seitenflügel mit Stadtbibliothek und Stadtarchiv; viele unersetzliche historische Schriftstücke gingen verloren. An dieser Stelle wurde die Neukirche (Temple Neuf) errichtet. Am damaligen Kaiserplatz dagegen wurde die neue Bibliothek in Auftrag gegeben. Nach Entwürfen der Architekten Skjold Neckelmann und August Hartel wurde sie zwischen 1889 und 1894 im Stil des Historizismus erstellt. Sie hatte gleich zwei Aufgaben: die einer Nationalbibliothek sowie einer Universitätsbibliothek. Mit der Zeit wurde sie zur zweitgrößten Bibliothek in ganz Frankreich.
Die mehr als 100-jährige Substanz des denkmalgeschützten Gebäudes konnte den modernen Anforderungen an Statik, Brandschutz usw. jedoch immer schlechter begegnen. So entschloss sich der Rektor der Universität Straßburg, zusammen mit dem Direktor der Départementsverwaltung, zu einem kompletten Umbau, bei dem Außenfassade, Dach sowie zahlreiche innere Strukturen bestehen bleiben sollen – was die Aufgabe sehr verkompliziert. Die Kosten trägt hauptsächlich das Ministerium für Bildung und Forschung (Ministère de l’Einseignement Supérieure et de la Recherche); Co-Financiers sind die Region Elsass, das Département Niederrhein (Bas-Rhin) sowie die Stadt Straßburg. Es wurde eine Bausumme von 61 Millionen Euro veranschlagt.
Bauen im Bestand
Das Gebäude – genauer: der Gebäudekomplex – soll größtenteils entkernt werden. Dabei dürfen die Fassaden nicht beschädigt werden. Jeglicher Zugriff mit Maschinen, Menschen und Material muss also durch die bestehenden Zugänge erfolgen, die dafür prinzipiell gar nicht gedacht sind. Dieser Aufgabe stellte sich die ArGe aus Urban BTP (Illkirch) und Demathieu & Bard (Niederlassung Duppigheim). Beide Unternehmen wurden bereits im 19. Jahrhundert gegründet und gehören zu den größten Baufirmen in Frankreich; Urban gehört zur Vinci-Gruppe mit über 160.000 Mitarbeitern.
Zusätzlich zu den sehr beschränkten Bedingungen im Inneren des Gebäudes kommen die sehr spärlichen Platzverhältnisse auf dem Gelände selbst hinzu, denn dieses ist gerade einige wenige Meter breiter als der Bau selbst. Dieser Raum wird größtenteils von den Baucontainern und den an- und abfahrenden Baufahrzeugen eingenommen, welche Material bringen oder fortschaffen. Die umliegenden Straßen dürfen nicht blockiert, der Verkehr nicht behindert werden. Dies erfordert eine besonders akribisch geplante Logistik und Lieferungen genau dann, wenn sie benötigt werden. Ein großer Kran, der auch schwere Lasten an entfernte Stellen bringen kann, sorgt unermüdlich für Nachschub
Die schwebende Kuppel
Der schwierigste Teil des Umbaus besteht in der Entkernung und Unterstützung des Mittelbaus, der von der weithin sichtbaren viereckigen Kuppel gekrönt wird. Auch hier ist ein Zugang von oben nicht möglich.
Die Kuppel soll den Innenraum bis zum Boden des Erdgeschosses mit Tageslicht erhellen. Ohne ausreichend statische Unterstützung drohte die Kuppel allerdings in den Innenraum zu stürzen!
Sämtliche Arbeiten finden unter sehr erschwerten Bedingungen statt, welche ein herkömmliches Arbeiten fast unmöglich machen:
Es gibt keine Möglichkeit für einen Kran, durch die Kuppel zu reichen. Dennoch müssen schwere Betonarbeiten bis in etwa 24 Meter Höhe durchgeführt werden.
Wie also ist die Vorgehensweise unter Einhaltung der größtmöglichen Effizienz?
- Die statisch nicht wirksamen Gebäudebestandteile wurden entfernt und ein etwa 24 m hohes Lehrgerüst aus vier Türmen erstellt, das die Last der Kuppel aufnimmt. Danach konnte etwas Platz geschaffen werden.
- An den vier Ecken des Mittelbaus wurden in größtmöglicher Höhe, also unterhalb der Stützkonstruktion der Kuppel und damit nicht in idealer Lage, jeweils ein Schwenkarm eines Hubkranes installiert. Die maximale Belastung beträgt gerade einmal 1,5 Tonnen.
- Es wurde auf dem Gerüst ein viereckiger Unterzug aus Ortbeton erstellt, auf dem die Kuppel aufliegt. Zusammen wiegt allein diese Konstruktion über 600 Tonnen. Es braucht 2 Wochen, bis der Beton seine endgültige Belastbarkeit erhält.
- An den frei gehaltenen Ecken wachsen L-förmige, mit 32-mm-Armierung versehene Betonsäulen dem Unterzug entgegen. Sie sollen letztlich die Gesamtlast abtragen. Zwischen den Säulen und den tragenden Wänden gibt es einen Abstand von lediglich 1,5 Meter. (Im Moment dieser Dokumentation zu Anfang September 2011 ist dieses Stadium erreicht.)
- Sobald der statisch-konstruktive Anschluss an den Unterzug gelungen ist, werden die Stützgerüste rückgebaut. Der eigentliche Innenausbau kann beginnen.
Beton- und Schalungsarbeiten
Das Durchführen der Betonarbeiten erwies sich unter diesen Umständen als höchst anspruchsvoll. In allen Planungs- und Ausschreibungsphasen sprangen jene ab, die das Projekt in der gewollten Form für technisch oder kostenmäßig nicht durchführbar hielten. Letztlich kristallisierte sich PASCHAL als einziger Dienstleister heraus, der ein tragfähiges Konzept besaß.
- Der Unterzug ist 0,80 Meter breit, 1,10 Meter hoch und mit jeweils 14,58 Metern quadratisch geformt. Die Ecken der Längsseiten sind dabei um jeweils 1,45 Meter länger als jene der Querseiten, was der Konstruktion grob die Form eines H gibt. Geschalt wird mit liegenden, bis zu 2,70 Meter langen Elementen des Schalsystems LOGO.alu, das aufgrund seines geringen Gewichtes sehr leicht und gut zu handhaben ist – in der Beengtheit unter der Kuppel eine notwendige Voraussetzung. Die LOGO.alu kann auf 1-cm-Schritte auf die erforderliche Länge angepasst werden, und so fielen auch die lästigen bauseitigen Restmaßausgleiche an dieser Stelle weg. Als Unterstützung wurde PASCHAL Deck eingesetzt.
- Als Schalsystem für die L-förmigen, 3,80 x 3,00 Meter messenden, 0,60 Meter dicken Pfeiler wurde die LOGO.3 gewählt. Die LOGO.3 nimmt 70 kN/m² Frischbetondruck auf nach DIN 18218 mit ihrem profilierten Flachstahlrahmen, der sich besonders für beengte Verhältnisse eignet. Ein Höhentakt war 2,94 Meter hoch; sieben gab es davon, und der achte bzw. der Anschlusstakt wurde erneut mit der LOGO.alu geplant. Ab dem vierten Höhentakt betragen die Weiten nur noch 3,00 x 3,00 Meter, was sich auch vielgestaltig in den Planungen niedergeschlagen hatte, denn Spannstellen, Elementmaße und Arbeitsgerüste mussten dementsprechend voreingestellt werden. Die LOGO.3 wurde als Kletterschalung mit Nachlaufgerüst eingesetzt. Alle zwei Tage wurde ein Takt erstellt. Insgesamt waren zwei Schalsätze im Einsatz, die an diagonal gegenüberstehenden Pfeilern eingesetzt wurden.
- Ein serielles Arbeitsgerüst für Schalungen, das zwischen die engen Wände passt und zudem die höchsten Sicherheitsanforderungen erfüllt, gibt es nicht. So entwickelte die PASCHAL Konstruktionsabteilung zwei gänzlich neue Klettersysteme (jeweils eines für die Vorder- und Hinterseite), die nur 1,05 Meter schmale Konsolen haben, in denen festinstallierte Leitern integriert sind. Letztlich zeigte sich nicht nur die Bauüberwachung begeistert, sondern es war für die Außenseite sogar möglich, trotz der bescheidenen Leistung des kleinen Krans, Schalung + Arbeitsgerüst + Klettereinheit + Nachlaufgerüst zusammen mit einem Kranspiel umzusetzen, was die Effizienz noch einmal erhöhte
Der Ausgang des Schalungskrimis
Der PASCHAL Fachberater, Christian Bordier, ist gleichermaßen hellauf begeistert. Eine Baustelle, meint er, erst recht eine mit diesen Anforderungen und diesem Zeitdruck, ist kein Kindergeburtstag, und laufend gab es Änderungen, Abstimmungsbedarf, unvorhergesehene Widrigkeiten und sogar kleinere Rückschläge. „Das gehört unbedingt dazu“, meint er, „das sei immer so, wenn man etwas Neues oder Schwieriges ausprobierte.“ Ohne Mühe kein Lohn! „So wenig Schalung, so viel zu berücksichtigen, das ist gut für den Kopf!“ konstatiert er. Und so war das Ergebnis, das er als „Kunst“ bezeichnet, und das nur mit einer perfekten Abstimmung zwischen allen Beteiligten machbar war, perfekt.
Links
Nationalbibliothek: www.bnu.fr
Arge: www.demathieu-bard.fr
www.vinci.com/vinci.nsf/de/unternehmen.htm